Belgier in Paris gegen das Arbeitsgesetz XXL

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Dem Aufruf mehrerer französischer Gewerkschaftsorganisationen folgend (1), haben am 12. September Hunderttausende in den Städten des Landes demonstriert, um die Rücknahme der von Präsident Macron vorgelegten Verordnungen zu fordern.
Eine Delegation von Gewerkschaftern, Aktivisten und Jugendlichen aus Belgien (2) hat sich der Pariser Demonstration angeschlossen, die nach Angaben der CGT 60.000 Personen umfasste.

Diese Delegation wollte zusammen mit Alter Summit aufzeigen, wie wichtig der gemeinsame Kampf gegen eine Politik ist, die auf nationaler wie auf europäischer Ebene die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern und die gesamte Bevölkerung Europas massiv angreift.
Wir geben hier das Interview von einer Teilnehmerin, Myriam Djegham, Bundessekretärin des MOC (3) Brüssel durch die Zeitung „Pour“ (4) wieder.

Paris, 12. September.

Dies ist nicht irgendein Treffen. Sie sind zusammengekommen, um einen Kampf wieder aufzunehmen, den sie für entscheidend halten. Französische Arbeiter und Arbeiterinnen, Mitglied in der CGT bzw. in einer anderen Gewerkschaft, die sich gegen die Reform des Arbeitsrechts stellen, empfingen belgische Gewerkschaftsmitglieder, die gekommen waren, weil dieser Kampf ihre gemeinsame Sache ist.

POUR: Welche Auswirkungen hat die Demonstration Eurer Solidarität in Paris auf die sozialen Auseinandersetzungen in Belgien?

Myriam Djegham: Die Zerstörung des französischen Arbeitsrechts hat die gleichen Ziele wie das Gesetz Peeters in Belgien. Entscheidend ist es, die Verbindungen mit denen zu stärken, die in Frankreich in den gleichen Branchen arbeiten. Dies trägt dazu bei, die Grundlagen für eine grenzüberschreitende Bewegung von Arbeitern und Arbeiterinnen zu schaffen.

Diese Angriffe erleben wir nicht ausschließlich auf der nationalen Ebene. Die Angriffe gegen die soziale Sicherheit oder gegen die öffentlichen Dienstleistungen sind von der Europäischen Union geplant und gewollt. Deshalb müssen wir zu einer internationalen Antwort von den Gewerkschaften und darüber hinaus natürlich von der ganzen Bürgerbewegung gelangen.

Wollen wir diesen Kampf heute in Belgien wirkungsvoll führen, dann müssen wir ihn gleichzeitig im internationalen Maßstab agieren. Erstmal sind wir mit den französischen Arbeitern solidarisch, dann sollten wir uns mit den Arbeitern aus Spanien und anderen Ländern treffen, um uns gegen die Maßnahmen zusammenzuschließen, die ihrerseits europäisch sind. Damit der Kampf erfolgreich wird, muss er die nationalen Grenzen überwinden.

POUR: Und wie wird diese belgische Solidarität von den zehntausenden französischen Demonstranten gesehen und erlebt?

Myriam Djegham: Zunächst einmal gab es seitens der Demonstranten und der breiten Öffentlichkeit Momente von großer Begeisterung, Beifall und sogar Umarmungen. Zu wissen, dass Belgier per Bus zu ihrer Unterstützung gekommen sind, stärkt für sie den Beweis der Rechtmäßigkeit ihres Kampfes.

Es gab zudem das Treffen mit den Vertretern der Gewerkschaft Solidaires, Neben einem Meinungsaustausch haben wir die aktuellen sozialen Angriffe, denen die französischen Arbeiter ausgesetzt sind, mit denen in Belgien verglichen. Wir haben auch über die kulturelle und mediale Dauerberieselung des Neoliberalismus gesprochen, die die Mobilisierung erschwert. Man geht dennoch aus einem solchen Treffen, aus einer solchen Debatte bereichert hervor.

POUR: Und kann diese grenzüberschreitende Solidarität aus eurer Sicht als gewerkschaftlichen Aktivisten zu einer Wiederbelebung der Kämpfe in Belgien führen?

Myriam Djegham: Wir müssen aufzeigen, dass heutzutage soziale Kämpfe auf europäischer Ebene geführt werden müssen. Keinesfalls entfällt dadurch die Verantwortung auf der nationalen Ebene, im Gegenteil. Man muss in der Lage sein, in seinem Unternehmen, seiner Region und seiner Branche zu kämpfen. Wir müssen also den Kampf in Belgien entwickeln. Dieser richtet sich gegen alle in den letzten sechs Monaten von der Regierung getroffenen Maßnahmen, die die Renten, die Gesundheitsfürsorge, die öffentlichen Dienstleistungen, die Flexibilisierung der Beschäftigung, die Verlängerung der Arbeitszeit etc. betreffen.

Die Regierung macht alle sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung rückgängig, und selbst einige unserer demokratischen Rechte. Aktuell betreffen die Regierungsmaßnahmen die Arbeiter, die Erwerbslosen, die Studenten, die Rentner und unten ihnen ganz besonders die Frauen. Sie werden einer patriarchalischen Herrschaft und einer skandalösen wirtschaftlichen Ausbeutung unterworfen, was dazu führt, dass sie die ersten sind, die voll auf die Fresse bekommen.

Der Kampf gegen die Abschaffung der erworbenen Rechte im französischen Arbeitsrecht ist entscheidend.

Darum bekämpfen die ArbeiterInnen unter anderem die Umkehrung der Hierarchie der Normen. Diese schreibt genau vor, welche Rechte Vorrang vor anderen haben: Das Abkommen auf der Betriebsebene kann für den Beschäftigten nicht weniger günstig sein als das Abkommen für die Branche, und dieses wiederum darf nicht weniger günstig sein als das Gesetz (berufsübergreifende Tarifabschlüsse). Die Umkehrung würde bedeuten, dass ein Abkommen auf Betriebsebene für die Beschäftigten wesentlich ungünstiger sein könnte als ein Abkommen für die Branche. Mit diesem Vorstoß wird angestrebt, die Beschäftigten dem unmittelbaren Einfluss des Arbeitgebers auszusetzen. Dies ist offensichtlich das Einfallstor für die Verschlechterung der Arbeitnehmerrechte, für die Spaltung der Beschäftigten und für die Verschärfung der Konkurrenz unter den Firmen, die einmal mehr als Vorwand für eine Abwärtsspirale dienen wird. Ganz zu schweigen von Betrieben mit schwachem oder ganz fehlendem Organisationsgrad, wo es zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kommen wird. Und oft sind in gerade diesen Betrieben viele Frauen beschäftigt.

Schließlich geht von allen diesen Vorstößen der Regierung die Gefahr aus, dass durch die zunehmende Unsicherheit der Beschäftigungsverhältnisse Kollateralschäden hervorgerufen werden. Und zwar insbesondere durch die verstärkte Behauptung, die den Ausländern die Schuld am Sozialabbau zuschreibt. Und man staunt dann über die Stärkung der extremen Rechte …

Die Gesamtheit der sozialen Bewegungen muss lernen, dass die Arbeitgeber geschlossen vorgehen und Regierung sowie Medien für ihr Projekt der Zerstörung der sozialen Errungenschaften benutzen. Indem wir nach Paris fahren, nehmen wir den Geist einer starken Bewegung für die Verteidigung unserer Rechte in uns auf. Dies gibt uns Hoffnung und ist wegweisend.

Weitere Infos:
CGT: http://www.cgt.fr/Premiere-analyse-des-ordonnances-Macron.html
FSU: http://fsu.fr/Rentree-sociale-preserver-notre-modele-social.html
Solidaires: https://solidaires.org/Loi-travail-2-Ordonnances-ou-pas-ON-N-EN-VEUT-PAS
Attac France: https://france.attac.org/se-mobiliser/loi-travail-xxl-c-est-toujours-non/article/decouvrez-le-petit-guide-de-resistance-a-la-loi-travail-xxl
Internationale Unterstützung: http://cgt.fr/Des-soutiens-du-monde-entier.html
Solidaritätserklärung von Verdi:
http://www.attac.de/uploads/media/17_09_11_Arbeitsrechtsreform_Solierklaerung_verdi_de_endg.pdf

(1) CGT, FSU, Solidaires et des syndicats étudiants et lycéens UNEF, UNL, FIDL
(2) Alter Summit, CNE, CSC, MOC, JOC
(3) Christliche Arbeiterbewegung, http://www.moc-site.be/
(4) https://www.pour.press/400-000-francais-et-une-poignee-de-syndicalistes-belges-veulent-nous-rendre-espoir-et-ouvrir-le-chemin/

http://www.altersummit.eu/accueil/article/des-belges-a-paris-contre-la-loi-travail-xxl
Übersetzung: Hans-Hermann Bohrer (coorditrad) /SiG-Redaktion